MM_0612 Weihe-Nacht _ 2 S.
MM 2006
Weihe-Nacht
Als die Zeit reif war, kam die Liebe. Sie kam als Kind. Sie kam als Säugling in diese Welt;
hilflos im Äußeren und angewiesen auf die Zuneigung anderer Menschen.
Sie konnte nur überleben,
weil Menschen sich ihrer annahmen und sie hegten und pflegten.
Sie konnte kommen, weil es eine Mutter gab, die ja zu ihr sagte;
die sie - die Liebe - unter
ihrem Herzen trug, um sie dann, als die Zeit reif war, zu gebären. Sie
konnte kommen, weil da ein Vater war, der diese Liebe als sein Kind annahm.
Sie durfte bleiben, weil Beide zusammen für dieses Liebe-Kind
sorgten. Weil Beide zusammen in Liebe verschmolzen waren, konnte die Liebe wachsen
und groß werden. Sie konnte bleiben, weil in der Nacht - in ihrem Schoß
- geheimnisvoll und doch so offenkundig, die Macht schlief, die die Geburt der
Liebe hätte verhindern können.
Sind die Bilder von der Weih-Nacht nicht grandios? Sind sie
nicht hoffnungsvolle Bilder für jeden Menschen? Geschieht nicht bei allen
Menschen die Geburt in der Weih-Nacht?
Trotz aller Unbilden, trotz aller Kriege werden Kinder geboren,
manchmal in einem Stall. Sehr oft jedoch reicht es nicht einmal dazu. Haben
diese Kinder eine Mutter, die sie unendlich liebt? Haben diese Kinder einen
Vater, der sie als Geschenk der Liebe annimmt? Oder wird das Kind hineingeboren
in eine Welt, in der es keine liebende Mutter und keinen liebenden Vater gibt?
Weih-Nacht. Ist nicht jede Nacht eine Weih-Nacht, wenn ein
Kind geboren wird? Ist nicht jede Nacht eine Weih-Nacht, wenn die Liebe zum
Leben erwacht? Ist nicht jede Nacht eine Weih-Nacht, wenn Leben sichtbar wird?
Nun, viele von uns sagen: Diese Nacht war etwas ganz Besonderes,
weil das Kind ein besonderes war! Dies sage ich auch(!) … doch darf ich hinzufügen
… ist nicht jedes Kind etwas Besonderes(?).
Dieses besondere Kind war Gottes Sohn sagen die Einen; ein
großer Prophet sagen die Anderen. Ich sage: In diesem Kind war die Gottesliebe
selbst. Doch ist nicht jedes Kind ein Teil der großen Schöpferkraft?
Ist nicht jedes Kind ein liebender Ausdruck dieser unendlichen Gottheit?
Lasst die Kleinen zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich.
Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht. Gehören diese
Aussagen nicht auch zur Weih-Nacht? Für mich schon!
Jedes Kind ist für mich ein Sinnbild der göttlichen
Liebe. Jedes Kind! Denn im Kind wird sichtbar, dass alles gut ist. Nichts fehlt
diesem Kind. Alles ist da, wo es hingehört. Nein, ich meine nicht den Körper,
wenngleich der auch gut ist. Ich meine die Veranlagung zur Liebe.
Diese Möglichkeit ist im Kind vorhanden - in der ganzen
Fülle, zu der ein Mensch zur Liebe befähigt ist. Diese Fähigkeit
ist vorhanden, auch wenn dieses Neugeborene keine Liebe von Eltern empfängt.
Es ist - und ist dies nicht ein Wunder - in sich selbst zur Liebe befähigt.
Wir alle waren Säuglinge. Waren? Nun, manchmal habe ich
das Gefühl, dass ich noch immer ein Säugling bin. Nicht, dass ich
körperlich noch klein wäre. Nicht, dass ich abhängig wäre
von der Leistung von anderen Menschen. Aber …
Das Wesen der Liebe ist es zu lieben. In allen Formen drückt
sich dies auch. Das Wesen der Liebe ist es zu lieben und … geliebt zu werden. Kann die Liebe überleben, wenn
sie nicht wiedergeliebt wird?
Kann ein Kind überleben, wenn es nicht geliebt wird? Im
Äußeren vielleicht! Doch was geschieht wirklich in ihm. Es wird sich
der "dunklen Seite" zuwenden, es wird ein Kind der Angst werden. Dort
wo die Liebe vorherrscht ist Sicherheit und Geborgenheiten. Dort wo die Liebe
fehlt - Kälte.
Dieses Kind wird aufwachsen und die Kälte der Welt als
die bestimmende Kraft erfahren. Es wird auf Sicherheit bedacht sein, auf Ansehen,
auf Wohlgelitten sein. Es wird sich dieser Welt möglicherweise so sehr
anpassen, dass es sich nicht mehr an seine Ur-Bestimmung erinnert: Lieben
und geliebt werden!
Dieses Kind wird in der Nacht verbleiben, in der es geboren wurde - in deren
Schutz - und wird sehnsüchtig auf den Tag warten, der der Nacht folgen
soll.
Sind wir Menschen - wir "Erwachsene" nicht solche
Nacht-Schwärmer? Sind wir nicht in der Nacht verblieben, in der Nacht der
Absicherung? Warum? Weil unserer Nacht die Weihe fehlte? Weil unsere Nacht die
Wärme nicht kannte? Weil unsere Nacht die Geborgenheit vermissen ließ?
Wie sollten wir am Tage leben, wenn wir das Licht der Liebe
nie erfahren haben? Und … habe ich mich an die Fähigkeit erinnert, zu lieben
und geliebt zu werden? Sind wir wirklich schon aus dieser Nacht in den Tag gegangen
und haben dadurch die Weihe der Geburt erfahren? Lieben wir und werden wir geliebt?
Nun, diese Erfahrung ist eine fundamental persönliche.
Kein Mensch kann für mich geboren werden. Kein Mensch kann für mich
sterben.
Die Geburt ist wie ein Tod. Ich werde herausgeboren aus dem
warmen, schützenden Schoß der Mutter. Wäre da nicht ein Vater,
der mich liebt und mir Sicherheit bietet, ich hätte unendliche Angst. Der
Tod ist die Hineingeburt in die warme, schützende Hülle der Liebe.
Ihre tragende Kraft ist es, die mich fortleben lässt. Beides sind Transformationen
des Lebens und beide haben ihre eigene Wirklichkeit. Doch beide Wirklichkeiten
fußen auf der Tragkraft der Liebe.
Wenn ich nicht das Licht des Tages in mir erkenne - meine Fähigkeit
zu lieben und geliebt zu werden - dann bin ich nicht geboren. Wenn ich nicht
das Leuchten des Auges erfahre, welches das Ur-Licht widerspiegelt, dann bin
ich noch nicht geboren. Wenn ich das Wort nicht gehört habe und kein Wort
gesprochen habe, dann bin ich noch nicht geboren. Wenn ich noch nicht geboren
bin, dann lebe ich noch nicht. Dann bin ich zwar anwesend, doch ich lebe nicht.
Ist die Botschaft von Weihnachten nicht die, dass das Leben
heilig ist? Für mich ist dies die Botschaft von Weihnachten. Das
Leben ist heilig, weil die Liebe heilig ist! Ohne Liebe kein Leben. Existenz ja, aber kein Leben.
Zum Leben brauche
ich Mutter und Vater. Beide stellen die Fundamente des Lebens dar. Die Mutter
gibt Geborgenheit, der Vater Sicherheit. So wie Maria und Josef.
Sind sie nicht wundervoll, die Bilder der Weihnacht? Sind sie
nicht kraft- und machtvoll in ihrer Gewalt? Und glauben wir noch immer, dass
dies nichts mit uns zu tun hätte? Nun … mit mir hat es viel zu tun, ja
Alles. Nicht, weil ich dabei gewesen wäre. Nein, weil ich dabei bin; weil
Jeder dabei ist. Manche noch blind und taub für die Bilder und Gesänge.
Andere immerhin hörend und einige sehend. Doch die wenigsten von uns -
so scheint es mir - erleben sie mit, die Weihe dieser Nacht.
Sie steht wieder an, die Nacht der Nächte. Sie steht wieder
an, denn die Zeit der Erwartung neigt sich dem Ende zu. Es will Tag werden in
den Menschen und damit es Tag werden kann, bedarf die Nacht dieser Welt - unserer
Welt - die Weihe der Liebe.
Lasst uns diese Liebe erleben - sie leben. Lasst uns hingehen
zur Krippe und Geborgenheit und Sicherheit als Vater und Mutter erkennen … lasst
uns lachen wie ein Kind.